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Wandlungsfähigkeit der deutschen Hightech-Industrie

Dass die „Wandlungsfähigkeit“ der deutschen Industrie neben ihrer Flexibilität einer ihrer entscheidenden Wettbewerbsvorteile ist, ist spätestens seit der letzten Wirtschaftskrise und dem daran anschließenden Aufholprozess offensichtlich. Umso erstaunlicher ist es, dass die Erfassung dieser wichtigen Fähigkeit bisweilen noch größte Schwierigkeiten bereitet. Ihr systematisches Management erfordert neben der Kenntnis geeigneter technischer und organisatorischer Befähiger auch Messkonzepte, die eine praktisch handhabbare Operationalisierung als strategische Zielgröße unterstützen.

Um dieser Frage nachzugehen, hat das Fraunhofer ISI die Wandlungsfähigkeitspotenziale sowie -befähiger erstmals systematisch am Beispiel der deutschen Hightech-Industrie erfasst und einem vergleichenden Benchmarking zugeführt. Die Ergebnisse können Unternehmen helfen, Stärken und Schwächen ihrer Wandlungsfähigkeit im Vergleich zu anderen Firmen zu analysieren und konkrete Ansatzpunkte zu ihrer Steigerung aufzudecken.

Familienunternehmen – langfristige Stabilität statt kurzfristiger Optimierung

Familienunternehmen sind ein wesentliches Rückgrat der deutschen Industrie. Wie Analysen der ISI-Erhebung Modernisierung der Produktion zeigen, setzen insbesondere inhabergeführte Familienunternehmen auf eine tragfähige Balance zwischen Flexibilität und langfristiger Stabilität und verzichten dafür auf ein Ausreizen kurzfristig möglicher Optimierungspotenziale.

Die Strategien der inhabergeführten Familienunternehmen fokussieren stärker als in Betrieben mit anderen Eigentümerstrukturen auf eigene Stammbelegschaften statt auf Zeit- bzw. Leiharbeit, auf eine intensive eigene Ausbildung, eine hohe Fertigungstiefe und einen geringeren Auslandsbezug von Vorleistungen. Sie versuchen, durch qualifizierte Beschäftigte und vergleichsweise geringe externe Abhängigkeiten die Fähigkeit zum kontinuierlichen Lernen und zum Management des Außerplanmäßigen zu sichern. Betriebliche Stabilität und Internalisierung bei Personal- und Wertschöpfungsstrategien werden so für diese Betriebe zum zentralen Flexibilitätsbefähiger.

Goldgrube Materialeffizienz?

Materialeffizienz entwickelt sich immer mehr zu einem wichtigen Thema in Wirtschaft und Politik. Real existierende und vermutete Knappheiten bestimmter Rohstoffe, steigende Materialkosten und die Abhängigkeiten Deutschlands als rohstoffarmes Land von Importen vieler Materialien sind nur einige der Gründe, die dazu beitragen. Die befragten Betriebe des Verarbeitenden Gewerbes schätzen im Mittel, dass sie 7 Prozent ihres Materialverbrauchs in der Produktion einsparen könnten. Eine Realisierung dieses geschätzten Potenzials würde eine Senkung der Materialkosten von ca. 48 Mrd. Euro pro Jahr betragen. Im Fahrzeugbau allein könnten fast 16 Mrd. Euro realisiert werden.

Deutlich wurde auch, dass Betriebe verstärkt Maßnahmen zur Steigerung der Materialeffizienz umsetzen, wenn sie bei Investitionsentscheidungen die gesamten Lebenszykluskosten im Blick haben und durch geeignete Informations- und Kennzahlensysteme die Transparenz hinsichtlich ihrer betrieblichen Stoffströme steigern. Vergleichsweise häufig nutzen Betriebe materialeffiziente Produktionskonzepte auch, wenn sie sich breit über Möglichkeiten zur Verbesserung ihrer Produktionsprozesse informieren und hierzu Kooperationen, z. B. mit Kunden, Lieferanten und Forschungseinrichtungen, aufbauen.

Demografieorientierte Personalmaßnahmen und Innovationsfähigkeit

Demografieorientierte Personalmaßnahmen zielen auf eine langfristige Verbesserung der Personalstruktur und Sicherung des Fachkräftebedarfs. Dieser Langfristcharakter birgt jedoch die Gefahr, dass sie kurzfristigen Optimierungen zum Opfer fallen. Die hier vorgestellten Daten zeigen aber, dass viele Betriebe aktiv strategische Personalmaßnahmen realisieren. Von insgesamt acht analysierten demografieorientierten Personalmaßnahmen setzen etwa drei Viertel der befragten Betriebe zumindest eine ein, ein Drittel der Betriebe hat drei oder mehr dieser Maßnahmen eingeführt.

Die Analysen zeigen auch, dass die betriebliche Umsetzung von Strategien zur Reaktion auf den demografischen Wandel ein sehr heterogenes Feld ist, das es differenziert zu beleuchten gilt. Zusätzliche Ausbildung und zusätzliche Anreize zur Bindung von Nachwuchskräften werden häufiger umgesetzt als Personalmaßnahmen, die sich an ältere Beschäftigte richten. Der Mangel an jüngeren Fachkräften wird über viele Branchen und Betriebstypen hinweg als drängendes Problem empfunden, während die Bedarfe von Betrieben, das Wissen und die Erfahrungen Älterer zu nutzen, spezifischer ausgeprägt sind.

Automobilzulieferer in Baden-Württemberg unter Strom?

Der wachsende Stellenwert alternativer Antriebskonzepte stellt nicht nur die Automobilhersteller, sondern auch die Zulieferer vor Herausforderungen. Baden-Württembergs Zulieferindustrie scheint für diese Aufgaben lediglich in der Spitze, nicht jedoch in der Breite der kleinen und mittleren Firmen gerüstet. Die im Vergleich zu anderen Bundesländern im Mittel eher geringen allgemeinen Innovationsanstrengungen führen dazu, dass alternative Antriebe nur für ein Drittel der Zulieferfirmen ein Thema darstellen, in das man Ressourcen investiert.

Während die großen Automobilzulieferer in Baden-Württemberg vorbereitet sind, bei einem wachsenden Stellenwert neuer Antriebskonzepte wegfallende Zulieferteile für konventionelle Antriebe durch Komponenten für die Elektromobilität zu ersetzen, sind die kleinen und mittleren Firmen bislang weniger aktiv geworden. Lediglich ein Drittel der kleinen und knapp die Hälfte der mittleren Zulieferfirmen haben bereits damit begonnen, Produkte zu entwickeln, die als Komponenten für neue Antriebstechnologien Nachfrage finden können.

Flexibilitäts- und Stabilitätsstrategien in der deutschen Industrie

Nicht alle Betriebe werden in gleichem Maße mit Kundenanforderungen, auf die sie flexibel reagieren müssen, konfrontiert. Analysen zeigen fünf Betriebstypen zwischen Flexibilität und Stabilität. Ein erster Typ setzt auf Variantenflexibilität und interne Flexibilitätsbefähiger und zeichnet sich bei der Innovationsfähigkeit durch ein gutes Input-Output-Verhältnis aus. Ein zweiter Typ erzielt mit einer hohen Wertschöpfungstiefe und FuE-Intensität einen überdurchschnittlichen Innovationsoutput und wirtschaftlichen Erfolg. Ein dritter Typ setzt unter Kostendruck vorrangig auf effiziente Prozesse und steuert die Flexibilität extern. Ein vierter Typ nutzt sowohl interne wie auch externe Flexibilitätsbefähiger unterdurchschnittlich und sichert sich eine stabile Gewinnlage durch stabile Qualitätsperformanz. Auf Differenzierung in der Nische setzt der fünfte Betriebstyp.

Die Intensität und das Erfolgspotenzial verschiedener interner und externer Stellhebel zur Sicherung der notwendigen Flexibilität und Stabilität sind demnach immer vor dem Hintergrund der spezifischen Besonderheiten zu reflektieren. Im BMBF-Vorhaben VITNESS wird ein modulares Gesamtkonzept personalpolitischer Instrumente entwickelt, das eine individuelle Balance von Flexibilitäts- und Stabilitätsanforderungen erlaubt.